Wie maschinelles Lernen Unternehmen Arbeit abnimmt, wieso die künstliche Intelligenz beim Bildverständnis Nachholbedarf hat und was Zauberei mit all dem zu tun hat, erläutert Artificial-Intelligence-Spezialist Dr. Alexander Motzek im Interview.
Herr Motzek, Artificial-Intelligence-Spezialist klingt futuristisch. Macht das auch den Reiz aus?
Ja, es gibt auf dem Feld KI nahezu täglich neue Forschungsergebnisse, die sich auch direkt in der Praxis testen und anwenden lassen. In keinem Bereich war Praxis jemals so nahe an der Forschung und in keinem waren Probleme, die zum Teil schon seit Jahren bestehen, so schnell lösbar.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
In einem Customer Support treffen jeden Tag Tausende E-Mails ein, die Mitarbeiter manuell an die jeweiligen Ansprechpartner weiterleiten müssen. Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Diese Arbeit kann mittlerweile vollständig eine KI übernehmen. Durch künstliche Intelligenz reduziert sich die Arbeitsmenge und die Mitarbeiter können sich mit wichtigeren Dingen beschäftigen. Wenn ich sehe, wie meine Arbeit Prozesse effizienter macht, bin ich begeistert. Es macht außerdem sehr großen Spaß, anderen, die KI nur aus den Medien kennen, zu zeigen, was heute damit bereits möglich ist. KI ist ein bisschen wie Zauberei, nur dass keine Magie dahintersteckt, sondern Mathematik.
Schön gesagt, wobei für manche Menschen auch beides unerklärlich ist. Wenn Sie eine KI in einem Unternehmen implementiert haben, ist Ihr Job aber noch nicht erledigt, oder?
Nein. Als Artificial-Intelligence-Spezialisten bei Lufthansa Industry Solutions wenden wir künstliche Intelligenz nicht nur in unterschiedlichen Branchen und Unternehmen praktisch an. Wir passen die KI immer weiter an und trainieren sie. Schließlich wollen wir die Prozesse stetig verbessern und sie immer weiter verschlanken.
Das klingt nun so, als ob KI immer manuelle Prozesse in digitale Verfahren transformiert. Ist das der Kern?
Ja, ich würde den Einsatz von KI schon als Umwandlung von manuell ausgeführten Prozessen hin zu Verfahren, die auf Bits and Bytes basieren, beschreiben. Stichwort Machine Learning. Beispielsweise müssen in Industrieanlagen Daten von Maschinen und Geräten nicht mehr mühsam von Menschen abgelesen werden. Die Messgeräte senden eigenständig Daten an eine IoT-Plattform, wo diese automatisch von einer Software analysiert und als Zustandsberichte aufbereitet werden. Die Unternehmen können durch Machine Learning Wartungen der Anlagen proaktiv durchführen und so verhindern, dass Maschinen ausfallen. Im Zuge der digitalen Transformation mit all ihren neuen Technologien wie der künstlichen Intelligenz werden viele Entscheidungen nicht mehr von Menschen aus dem Bauch heraus getroffen, sondern aufgrund von objektiven Verfahren.
Und was bedeutet das für den Endverbraucher?
Künstliche Intelligenz steckt zum Beispiel in einem digitalen Pendant zum Concierge. Die digitale Variante ist dann 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche für mich da und unterstützt mich in vielen Angelegenheiten. Beispielsweise beim Buchen eines Tickets oder bei der Kündigung eines Abonnements, für die ich dann nicht mehr extra eine E-Mail schreiben muss. Es wird ein digitaler Service bereitgestellt, bei dem auf Dienstleisterebene kein Mensch mehr involviert ist.
Liegt in Szenarien wie diesen das Entwicklungspotenzial für KI in den nächsten fünf Jahren?
Heute ist schon sehr viel mit KI machbar. Mittels künstlicher Intelligenz ist es bereits möglich, ein Bild sehr genau einzuordnen und in Bezug auf hochkomplexe Sachverhalte zu interpretieren. Sei es in der medizinischen Bildverarbeitung, um beispielsweise Tumore frühzeitig zu erkennen, oder im Baugewerbe in der Qualitätssicherung oder der Materialprüfung. Dafür benötigte man bisher Spezialisten mit jahrelanger Erfahrung. Durch KI geht so vieles einfacher und schneller, was gut ist für alle Beteiligten.
Es besteht im Bereich der KI aber aktuell noch Nachholbedarf beim allgemeinen Bildverständnis. Wenn ein Mensch ein Bild von einem Baum sieht, kann er danach andere Bäume anhand dieses einen Beispiels als Bäume identifizieren. Eine KI kann das aktuell noch nicht, sondern benötigt eine Vielzahl von Beispielen. Hier steckt in der Bildforschung noch viel Entwicklungspotenzial.
Wir werden also noch eine Weile gebraucht.
Ja, auf jeden Fall.
Und wie gehen Sie als Artificial-Intelligence-Spezialist konkret ein vorliegendes Problem an? Haben Sie Lieblingsalgorithmen?
In erster Linie lösen wir das unterliegende Business-Problem. Natürlich verlieren sich AI-Spezialisten bei der Vielzahl an Möglichkeiten sehr gerne, aber das macht auch den Reiz aus.
Im Arbeitsalltag verwenden wir bestehende Implementierungen je nachdem, welche das Problem am besten löst. In der Bildverarbeitung ist mein Favorit das Transfer Learning aus vortrainierten Modellen – etwa einem auf ImageNet trainierten ResNet, das sehr komfortabel mit Keras und PyTorch möglich ist. In der Textverarbeitung zeigt sich oft, dass einfache Modellannahmen sehr große Wirkungen erzielen – hier eignen sich klassische grafische Wahrscheinlichkeitsmodelle. In einigen Fällen reicht das zur Problemlösung aber nicht aus. Dann heißt es intensive Recherche: Wir sichten aktuelle Papers und Journals und setzen uns mit neuen Forschungsergebnissen auseinander.
Wie behalten Sie denn den Durchblick bei dem stetig neuen Lesestoff?
Dass die Forschung nirgendwo so eng mit der Industrie verbunden ist wie im Bereich der KI, macht es leichter. Ich verfolge natürlich genau, wohin die Entwicklung geht. Hierbei spielen wichtige weltweite Konferenzen eine Rolle, wie die International Joint Conference on Artificial Intelligence oder die Conference on Neural Information Processing Systems.
Die Flut an Papers ist in der Tat überwältigend. Aber bei der Auswahl der richtigen Papers, Blogs und Webseiten hilft mir natürlich eine KI. Mein Google Newsfeed versorgt mich regelmäßig mit den neuesten und wichtigsten Artikeln zu Machine Learning und Deep Learning.
Und welche Rolle spielt der Austausch untereinander?
Um Forschungsergebnisse besser bewerten zu können, tauschen wir uns in unserem AI-Lab regelmäßig zu aktuellen Trends untereinander aus. Das Lab ist eine unternehmensweite Community aus KI-interessierten Kollegen, die alle sowohl theoretische als auch praktische Erfahrung besitzen. Von diesem Netzwerk profitieren nicht nur wir Artificial-Intelligence-Spezialisten, sondern alle Mitarbeiter und letztendlich auch unsere Kunden. Denn darum geht es: Wir wollen mit KI und Machine Learning ihre Probleme lösen.