Der Flug LH543 am 26. Juli 2017 von Bogota nach Frankfurt sollte ein ganz besonderer Flug werden.
Wir starteten am 25. Juli um 21 Uhr Ortszeit mit 191 Passagieren und 13 Crewmitgliedern in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota. Der Flug verlief soweit wie geplant.
Ich befand mich seit ca. 30 Minuten in der Pause, als mich meine stellvertretende Kabinenchefin weckte, die mich während meiner Pause vertritt.
Sie informierte mich, dass bei einer schwangeren Frau vorzeitig die Wehen eingesetzt haben – ihre Fruchtblase sei bereits geplatzt.
Die Kolleginnen riefen sofort einen Arzt aus und kontaktierten den Rest der Crew, wie es bei uns trainiert wird.
Ich begab mich sofort zu der Frau, erfasste die Situation und gemeinsam mit meinem Team begannen wir mit unseren Erste-Hilfe-Maßnahmen.
Ich versuchte dann, Ruhe und Struktur in diese für uns alle stressige Situation zu bringen.
Dabei galten meine Gedanken auch den anderen 190 Gästen, für die ich als Kabinenchefin verantwortlich war. Meine erste Frage ans Cockpit war: “Wo sind wir?” Waren wir noch über Wasser oder hatten wir schon Festland erreicht?
Ich hatte schon zu diesem Zeitpunkt das Gefühl, dass wir es nicht bis nach Frankfurt schaffen würden. Der Abstand ihrer Wehen verringerte sich zusehends.
Wir setzten einige Passagiere in die vorderen Reihen und der hintere Teil des Flugzeugs wurde zu einem provisorischen Kreissaal, abgetrennt durch einen Sichtschutz.
Eine Kollegin sorgte sich die ganze Zeit um die Mutter, die in den Wehen lag. Sie hielt ihre Hand und redete ihr gut zu. Diese Unterstützung und den Einsatz der Kollegin empfand ich als sehr wichtig für die werdende Mutter, denn somit hatte die Mutter eine Bezugsperson. Mir lag sehr am Herzen, dass sie sich sicher und geborgen bei uns fühlt. Zudem waren noch weitere Kollegen und Kolleginnen anwesend, die den Ärzten unseren Erste-Hilfe-Koffer zeigten und zuarbeiteten. Regelmäßig kontrollierten wir ihren Puls, Blutdruck und den Sauerstoffgehalt im Blut, während die Ärzte sich um sie kümmerten.
Seit dem Moment, an dem ich dazu geholt wurde, war ich bis zur Geburt dabei und habe meine Crew unterstützt, mich mit den Ärzten beraten und mit meinen Cockpit-Kollegen kommuniziert. Für mich war die Geburt ein sehr ergreifendes, emotionales Ereignis, was ich niemals vergessen werde.
Man verliert in so einem Moment das Gefühl für die Zeit, sondern ist zu 100 Prozent für den Augenblick da.
Seit Bekanntwerden über die Wehen bis zur Geburt dauerte es etwa 2 1/2 Stunden und dann nochmals eine gewisse Zeit bis zur Zwischenlandung in Manchester.
Als das Baby zur Welt kam, haben wir alle den Atem angehalten und die Welt um uns herum vergessen.
Jeder, so auch ich, blickten gespannt auf das kleine, zarte Wesen. Als der Arzt dann endlich rief: “Es ist alles in Ordnung, es ist ein Junge!” fiel die ganze Anspannung von uns ab und wir fielen uns in die Arme. Wir alle hatten Tränen vor Freude in den Augen!
Es war 12:37 Uhr, als in 39.000 Fuß (rund 11.800 Meter) Flughöhe über dem Nordatlantik der kleine Nikolai das Licht der Welt erblickte.
Nachdem das Baby auf der Brust seiner Mutter lag, machte ich eine erklärende Bordansage an die übrigen Gäste. Wir freuten uns sehr, dass diese spontan klatschten und uns beglückwünschten. Nochmals meinen Dank an unsere Gäste für Ihr Verständnis!
Die Mutter des Babys war zunächst nur sprachlos und überglücklich. Sie hat sich bei uns allen bedankt.
So eine Situation, also eine Geburt, hatte ich selbst noch nicht in 20 Jahren “Fliegerei”!
Aber selbst auf solch eine Situation werden wir bei der Einstellung als Flugbegleiter/-innen vorbereitet. Wir müssen eine umfangreiche “Erste Hilfe”-Schulung absolvieren, die wir jedes Jahr wiederholen. In diesem Kurs besprechen und wiederholen wir mögliche medizinische Notfälle und Erkrankungen an Bord, unser Equipment, die Vorgehensweise bei einem medizinischen Notfall sowie alle auszufüllende Formulare. Das nächste Mal kann ich bei der Schulung von dieser Geburt erzählen.
Zu guter Letzt möchte ich mich für die außerordentliche Leistung meiner Crew bedanken! Auch bin ich dafür dankbar, dass wir auf diesem Flug so viele kompetente und überaus nette Ärzte an Bord hatten, die uns über Stunden unterstützt haben.
Der frisch gebackenen Mutter und dem süßen Nikolai wünsche ich alles Gute und vor allem ein glückliches, langes und gesundes Leben!