Im letzten Blog hatte ich euch über das Erste-Hilfe-Training von Flugbegleiterlehrgang 1912 berichtet. Inzwischen sind ein paar Tage vergangen und die Teilnehmer haben ihr CRM-Training absolviert. Jetzt fragt ihr euch bestimmt: CRM, was ist das überhaupt? Ich kann euch schon verraten, dass die Abkürzung für Crew Resource Management steht. Jemand, der bis jetzt noch nichts mit der Fliegerei zu tun hatte, kann vielleicht trotzdem nichts mit dem Begriff CRM anfangen. Deshalb werden wir jetzt etwas Licht ins Dunkel bringen. Heute hatte ich die Gelegenheit, mich mit Lind und Karin, zwei CRM-Trainerinnen, zu unterhalten. In dem Interview könnt ihr nun lesen, was CRM überhaupt ist und welche Themen während der drei Tage des CRM-Trainings im Flugbegleitergrundkurs auf dem Programm stehen. Was ich schon vorab verraten kann: Unsere Teilnehmer haben wieder spannende Tage mit viel neuen Eindrücken und ganz viel Input erlebt.
Marco: Liebe Linda, liebe Karin, herzlich willkommen und vielen Dank, dass Ihr Euch heute die Zeit genommen habt für unser Interview für den Be-Lufthansa Karriere Blog. Bevor wir gleich zum CRM kommen, würde mich zunächst interessieren, wie Euer bisheriges Leben bei Lufthansa ausgesehen hat und natürlich auch, in welchem Flugbegleitergrundkurs Ihr selbst einmal gewesen seid.
Karin: Ich bin seit 20 Jahren bei Lufthansa. Angefangen habe ich im Flugbegleiterlehrgang 997. Mittlerweile fliege ich als so genannter Gemischt-Purser 2 und bin auch seit 10 Jahren CRM-Trainer. Zum CRM bin ich gekommen, weil ich mich für die Grundlagen des menschlichen Miteinanders schon immer interessiert habe. Vor meiner Tätigkeit bei Lufthansa habe ich außerdem Sportwissenschaften mit einem Schwerpunkt auf Sportpsychologie studiert. Da gibt es viele Gemeinsamkeiten.
Linda: Meine Lehrgangsnummer ist die 1246 und das heißt, dass ich auch schon seit 17 Jahren bei Lufthansa arbeite. Vor der Lufthansa habe ich bei einer Eventagentur gearbeitet. Bei dieser Eventagentur gab es einen Kollegen, der auch Flugbegleiter bei Lufthansa war. Er hat bei mir die Lust am Fliegen geweckt, wenn er mir von seinen tollen Dienstplänen erzählt hat. So bin ich zur Lufthansa gekommen. Vor sechs Jahren bin ich dann Purser 1 geworden. Und CRM-Trainerin bin ich ungefähr genauso lange wie ich auch Purser bin. Das Thema CRM ist wirklich eine Herzensangelegenheit von mir. Die Kommunikation untereinander ist so wichtig im Leben. Also, wie wir etwas sagen und wann wir etwas sagen. Eine Kommunikation gerade in der Crew trägt auch zu einer sicheren Flugdurchführung bei. Warum das so ist, darüber werden wir ja sicher noch sprechen.
Marco: Ich denke, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um unseren Lesern zu erklären, was CRM bzw. Crew Resource Management ist und was sich hinter dem Begriff verbirgt?
Karin: Bis zum Beginn des CRM-Trainings haben die Teilnehmer schon sehr viel darüber gelernt, welche Verfahren sie während eines Notfalls anwenden müssen. Dafür diente das SEP und das Erste-Hilfe-Training. Im CRM lernen die Teilnehmer nun, wie sie das gelernte Wissen und Können abrufbereit halten können, gerade in stressigen Situationen. Dabei geht es nicht nur um die eigenen Ressourcen, denn wir sind ja nie allein im Flugzeug. Wir agieren im Flugzeug innerhalb der Crew als Team. Die Crew befindet sich im ständigen Austausch miteinander. CRM sorgt also für eine gute Kommunikation innerhalb des Teams und ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf das Fehlermanagement gelegt. Also wie wir im Team damit umgehen, wenn uns auffällt, dass uns selbst oder einem Kollegen ein Fehler unterlaufen ist. Passiert ein Fehler, gibt es normalerweise drei typische Reaktionen wie ein Mensch auf diesen Fehler reagiert: Erstens “Ich war es nicht”, zweitens “Der andere war es” oder drittens “Es wird schon nicht so schlimm sein”. Genau diese Verhaltensweisen könnten in der Fliegerei fatale Folgen haben. Deshalb ist wichtig, einen Fehler bei sich oder einem Kollegen zu erkennen und dann konstruktiv mit diesem Fehler umzugehen und ihn zu beheben. Aus diesem Grund wird bei Lufthansa auch niemand für einen Arbeitsfehler bestraft. Es geht Lufthansa darum, Fehler zu identifizieren und Maßnahmen einzuleiten, diesen Fehler für die Zukunft zu verhindern. Dieses Verhalten muss aber trainiert werden, denn es fällt jedermann schwer, einen eigenen Fehler zuzugeben.
Linda: Ich würde noch gerne ergänzen, dass ich CRM als ein System von Zahnrädern verstehe. Und jedes einzelne Zahnrad dieses Systems steht für eine Person, die an einem Flugereignis beteiligt ist. Dazu gehören die Piloten im Cockpit, der oder die Purser, die Flugbegleiter, die Kolleginnen und Kollegen vom Boden und auch die Passagiere. Sie alle zusammen gehören zu diesem Zahnradsystem. Und manchmal hakt es dann in diesem Räderwerk. Und CRM setzt genau in diesem Moment an, in dem es beginnt, im System zu knirschen. Jetzt ist nämlich der Zeitpunkt, an dem ein Beteiligter aussprechen muss, dass es irgendwo in diesem Zahnradsystem nicht rundläuft. Studien belegen, dass 60-80 Prozent aller Flugunfälle hätten verhindert werden können, bei gut angewendetem CRM. Das heißt, Informationen zum richtigen Zeitpunkt weiterzugeben. Stellen wir uns zum Beispiel folgende Situation vor: Ein Triebwerk hat während des Fluges plötzlich Feuer gefangen und der Kapitän macht eine Ansage: “Aufgrund eines technischen Problems werden wir nun das linke Triebwerk abschalten.” Ein Flugbegleiter wundert sich, da er aus einem der Fenster blickt und bemerkt, dass das rechte Triebwerk brennt und der Kapitän im Begriff ist das funktionierende Triebwerk abzuschalten. Der Flugbegleiter muss also das Standing haben, nun zum Interphone zu greifen und den Kapitän über seine Beobachtung zu informieren. Andernfalls könnte es aufgrund einer simplen Verwechslung von links und rechts zu einem fatalen Unglück kommen. Niemand ist davor sicher, einen Fehler zu machen, wichtig ist aber, wie wir damit umgehen. Denn Fehler in der Fliegerei können sehr gefährlich werden. Im CRM trainieren wir also, wichtige Informationen jederzeit an das entsprechende Zahnrad im System weiterzugehen, unabhängig von einer bestehenden Hierarchie.
Marco: Ich habe schon nach dieser Einführung gemerkt, wie wichtig CRM für uns als Crew ist. Wie sieht denn nun konkret Euer Alltag als CRM-Trainer bei der Lufthansa aus?
Karin: Wir CRM-Trainer führen eine Menge verschiedener Seminare durch. Los geht es mit dem dreitägigen CRM-Seminar innerhalb des Flugbegleitergrundkurses, wie jetzt auch für unseren Kurs 1912. Weiterhin gibt es noch die jährlichen Trainings für alle Flugbegleiter. Diese finden auch immer zusammen mit den Kollegen vom Cockpit statt. Darüber hinaus gibt es noch spezielle CRM-Seminare im Rahmen der Purserwerdung und für unsere regionalen, nicht deutsch sprechenden Flugbegleiter. Denn hier gibt es natürlich spezielle Herausforderungen. Morgens beginnt der Arbeitstag mit der Vorbereitung des Lehrsaals und der Absprache mit dem Co-Trainer. Eine gute Abstimmung der beiden Moderatoren ist gerade für das CRM-Training extrem wichtig. Wir sprechen uns natürlich ab, wer welchen Teil des Seminars übernimmt. Und dann kommen auch schon die Teilnehmer und los geht es mit dem Seminar. Die Themen sind, genau wie bei SEP und Erste Hilfe, durch die Lufthansa und die verschiedenen Behörden wie LBA und EASA vorgegeben. CRM ist ja ein lizenzrelevantes Training.
Marco: Kommen wir mal zu unserem Lehrgang 1912. Mit welchen Themen haben sich denn unsere Teilnehmer während ihren drei Tagen CRM-Training beschäftigt?
Linda: Zu Beginn haben wir uns angeschaut, wie sich Menschen gegenseitig und sich selbst bewerten. Dabei geht es natürlich auch um die Bewertung dieser Beobachtungen, das heißt, wir beschäftigten uns intensiv mit dem Thema Feedback geben aber auch Feed annehmen. Um dies möglichst anschaulich zu trainieren, haben die Teilnehmer mit uns verschiedene Rollenspiele durchgeführt, bei denen die Teilnehmer das neu gelernte Wissen direkt anwenden konnten. Wir haben gemeinsam gelernt, wie man seine eigenen Wahrnehmungen und deren Wirkungen ausdrückt und auch, wie man Wünsche formuliert, um eine Verhaltensänderung bei seinem Gegenüber erreichen kann. Dabei dockten wir also direkt bei unserer täglichen Arbeit an Bord an. Gerade das Thema Feedback ist unser täglicher Begleiter bei unserer Arbeit an Bord. Vorher hatte ich schon gesagt, wie wichtig es ist, im richtigen Moment seinen Mund aufzumachen.
Im weiteren Verlauf des Trainings analysierten wir auch ganz genau einen Flugunfall. Wir schauen uns im Rahmen von “Professionalität und Sicherheit” an, wie wir als Crew in dieser Situation hätten besser sein können. Wir haben uns also ganz genau angeschaut, an welchen Stellen die Crew einen Fehler gemacht hat und wie sich dieser Fehler dann auf das Unfallgeschehen ausgewirkt hat. Und somit schließt sich an dieser Stelle wieder der Kreis zum Fehlermanagement.
Als nächstes haben wir uns mit dem Thema Entscheidungsfindung beschäftigt, also, wie wir selbst zu Entscheidungen kommen. Dies geschah auch unter der Berücksichtigung des eigenen Stressmanagements und Workloadmanagements. Stress und Konflikte kommen im Fliegeralltag natürlich hin und wieder vor. Deshalb schauten wir uns danach an, wie man Konflikte an Bord lösen kann. Dazu setzen wir ein Modell mit fünf Schritten ein, wie man Konflikte lösen kann. Dies ist wichtig, um gut und effizient in unseren wechselnden Teams an Bord arbeiten zu können.
Dies waren also die klassischen CRM-Themen mit denen wir uns an den ersten beiden Tagen des Grundkurstrainings beschäftigt haben.
Karin: Am dritten Tag stand das große Thema Security auf dem Programm. Hier geht es um die wirklich ernsten Themen der Fliegerei. Wir unterhalten uns über die Möglichkeit einer Flugzeugentführung und den Gefahren des Terrorismus. Ein weiteres Thema ist der Umgang mit schwierigen und aggressiven Passagieren, also den so genannten “Unruly Passengers.” In diesem Teil des Trainings stehen natürlich verschiedene Deeskalationstechniken auf dem Programm. Da wir uns ja an Bord eines Flugzeuges befinden, können wir in einer potentiell gefährlichen Situation nicht einfach die Polizei rufen. Unter Umständen sind wir für mehrere Stunden auf uns selbst gestellt und müssen bestimmte Herausforderungen zunächst selbst lösen. Gerade am dritten Tag war es uns auch wichtig, über die Bedenken der neuen Flugbegleiter zu sprechen, damit keine Ängste aufkommen.
Wenn ich die drei Tage noch mal zusammenfasse, ging es also um: Führung, Teamwork, Durchsetzungsvermögen, Situationsbewusstsein, Planung, Koordination und Deeskalation. Das alles zusammen ist Crew Resource Management und unser Tool Nr. 1, welches wir dazu einsetzen, ist die Kommunikation.
Marco: Vorher habt Ihr mir ja schon erzählt, dass CRM ein lizenzrelevantes Schulungsthema ist. Mich würde jetzt noch interessieren, ob Lufthansa über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht beim Training und was unser CRM-Training bei Lufthansa so besonders macht?
Linda: Lufthansa legt im Training sicherlich noch einmal eine Schippe drauf zu den gesetzlichen Mindestanforderungen. Denn wir möchten Lufthansa sicherer wissen als unsere Mitbewerber. Aus diesem Grund gibt es hier bei uns im Grundkurs drei Tage Präsenztraining und nicht nur ein elektronisches Selbstlernprogramm. Andere Airlines machen das anders, wir legen sehr viel Wert auf den persönlichen Austausch miteinander. Das CRM-Training ist quasi schon gelebtes CRM.
Karin: Lass uns doch für einen Moment in die Geschichte zurückschauen. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es weltweit eine Menge Flugzeugabstürze. Im Nachhinein wurden diese Abstürze natürlich analysiert und man hat festgestellt, dass der technische und fliegerische Bereich nur einen kleinen Teil zu den Absturzursachen beigetragen hat. Das heißt, der technische Fortschritt war damals schon auf einem sehr hohen Niveau. Aber warum kam es damals zu so vielen Unfällen? Die Analysen kamen zu dem Ergebnis, dass der “Faktor Mensch” der ausschlaggebende Faktor bei den Unfallursachen war. Die Airlines erkannten damals, dass sie vor allem an diesem Punkt arbeiten müssen. Dies war sozusagen die Geburtsstunde des Crew Resource Managements. United Airlines war hier zusammen mit der NASA der Vorreiter in Sachen CRM. Zunächst war CRM ein reines Cockpitthema später wurde dann die ganz Crew beim CRM miteinbezogen.
Marco: Ich kann mir vorstellen, dass für jemand, der nicht aus dem fliegerischen Bereich kommt, das Thema CRM sich zunächst vielleicht etwas ungewohnt anfühlt. Was sind denn die besonderen Herausforderungen im CRM-Training gerade im Flugbegleitergrundkurs?
Karin: Eine Herausforderung ist zum Beispiel das Thema Risikobewertung. In unserem normalen Alltag sind wir es gewohnt, dass alles, was wir machen, nicht mit größeren Risiken behaftet ist und normalerweise auch gut funktioniert, ohne dass jemand zu Schaden kommt. Das nennt man auch “erlernte Sorglosigkeit.” Plötzlich befinden sich die neuen Kollegen nun in einem Umfeld, in dem es wichtig ist, auf potentiell gefährliche Situationen zu achten. Beobachtungen sollen kommuniziert werden, auch gegenüber erfahreneren Kollegen und über Hierarchiegrenzen hinweg.
Linda: Was ich immer wieder merke: Die Fliegerei hat eine ganz eigene Sprache, die nur so von Abkürzungen und Fachbegriffen wimmelt. Hier müssen wir gerade im Grundkurs aufmerksam vorgehen, damit die neuen Kollegen nicht nur “Bahnhof” verstehen. Wir wollen die Kollegen langsam an ihr neues Umfeld gewöhnen. Dies ist also eine Herausforderung auf beiden Seiten.
Marco: Eine Frage habe ich jetzt noch an Euch: Seit März läuft der Flugbegleitergrundkurs ja in einem neuen Design. Was hat sich denn im CRM-Bereich verändert im Vergleich zu früher?
Linda: Das ganze Training ist meiner Meinung nach lebendiger und moderner geworden. Früher gab es noch den ein oder anderen Teil, den ich ganz ehrlich gesagt etwas theoretisch bzw. trocken fand. Das empfinde ich jetzt nicht mehr so. Was mir zum Beispiel sehr gut gefällt am Grundkurs ist, dass die Teilnehmer ein Logbuch erhalten, das sie durch den gesamten Grundkurs begleitet. In dem Logbuch finden die Teilnehmer immer wieder Denkanstöße, die thematisch den Grundkurs begleiten. Die Teilnehmer können sich eigene Notizen machen und so ihre Gedanken und Überlegungen mitnehmen.
Karin: Mir gefällt besonders, dass man mittlerweile im gesamten Flugbegleiterlehrgang einen roten Faden erkennen kann. Die beteiligten Fachbereiche stimmen sich viel besser untereinander ab. SEP, Erste Hilfe, CRM und Service bilden eine wunderbar vernetzte Einheit. Insgesamt ist der ganze Lehrgang auch viel digitaler geworden. Das Onlinetraining ist nun ein fester Bestandteil während des gesamten Kurses und die Teilnehmer lernen von Anfang an den Umgang mit ihrem Cabin Mobile Device.
Marco: Liebe Linda, liebe Karin, ich bedanke mich für Eure Zeit und den Einblick ins Crew Resource Management.
Ich hoffe, euch hat dieser Ausflug in das Thema CRM genauso gut gefallen wie unseren Teilnehmern von FBL 1912. Im nächsten Blog wird es besonders spannend. Das Service-Training steht an und damit auch der erste Arbeitstag in der Lufthansa-Uniform. Was FBL 1912 im Service-Training erlebt hat, erfahrt ihr in Kürze hier. Wie üblich habe ich euch hier die bisherigen Kapitel 1-4 verlinkt:
– Die Flugbegleiterausbildung bei Lufthansa Teil 1: “Welcome to Lufthansa”
– Die Flugbegleiterausbildung bei Lufthansa Teil 2: “Blick hinter die Kulissen”
– Die Flugbegleiterausbildung bei Lufthansa Teil 3: “SEP-Training”
– Die Flugbegleiterausbildung bei Lufthansa Teil 4: “Erste Hilfe”